1. Der Gründer – Richard Wilhelm
Das China-Institut an der Goethe-Universität wurde im Jahre 1925 von Richard Wilhelm gegründet. Richard Wilhelm ging Ende des 19. Jahrhunderts als protestantischer Missionar in die deutsche Kolonie Qingdao. Dort betreute er die deutsche Kirchengemeinde und die Schule und missionierte die chinesischen Bewohner der Kolonie. Aus dem christlichen Missionar wurde aber schon bald ein Bewunderer und Fürsprecher der chinesischen Kultur. Wie Richard Wilhelm später nicht ohne Stolz berichtete, habe er in den langen Jahren seines Wirkens in China nicht einen Chinesen zum Christentum bekehrt. Das heißt nun keineswegs, daß Richard Wilhelm dem Christentum an sich kritisch gegenübergestanden wäre, ganz im Gegenteil bildete das Christentum zeit seines Lebens den geistigen Hintergrund seiner Rezeption chinesischer Kultur und Weisheit. Nur der Gedanke der Mission war Richard Wilhelm fremd. Das Christentum sollte allein durch das persönliche Vorbild seiner Anhänger wirken.
Wilhelm setzte sich für einen Austausch zwischen westlicher und chinesischer Kultur ein. Er zog sich immer mehr aus der Missionstätigkeit zurück und widmete sich sinologischen Arbeiten. Er übersetzte die klassischen Texte des chinesischen Altertums, die bis heute in Diederichs „Gelbe Reihe“ immer wieder neu aufgelegt werden und sich einer ungebrochenen Popularität erfreuen. Erst heute wird die große Pionierleistung dieser Übersetzungsarbeit richtig gewürdigt und neu rezipiert. Daneben steht aber noch eine Vielzahl von anderen Arbeiten Richard Wilhelms, in denen er sich aufmerksam und kritisch mit der chinesischen Gegenwart befaßt. So veröffentlichte er Tagebuchaufzeichnungen über die zeitgenössischen Ereignisse und sein Leben und Arbeiten in Qingdao, aber auch ein Werk über chinesische Wirtschaftspsychologie, das aus einem Vortrag am Weltwirtschafts-Institut in Leipzig hervorging und eine durchaus praktische Zielsetzung hatte, nämlich die Kommunikation und das Verständnis zwischen deutschen und chinesischen Wirtschaftspartnern zu erleichtern. Damit war er einer der ersten, die sich nicht mehr nur mit dem alten China und seiner großen Geschichte befaßten, sondern die das moderne China im Westen zu vermitteln und zu erschließen suchten.
2. Die Anfänge des China-Instituts
Im Jahre 1924 wurde Richard Wilhelm von der Universität Frankfurt eine Honorarprofessur und ein Lehrauftrag für Chinakunde und Chinaforschung verliehen. Richard Wilhelm strebte die Gründung eines „Chinesischen Kulturinstitutes“ an, in dem er seine Idee des Kulturaustausches praktisch umsetzen konnte. Tatsächlich gelang es Wilhelm, innerhalb eines Jahres großzügige Stifter aus der Mitte der Frankfurter Gesellschaft für die Gründung des China-Instituts zu finden. Schon bald gab das China-Institut einen chinesisch-deutschen Almanach und dann die Zeitschrift „Sinica“ heraus, die sich zu einer der bedeutendsten deutschen sinologischen Zeitschriften entwickeln sollte. Noch heute – 63 Jahre nach dem Erscheinen ihrer bislang letzten Ausgabe – besitzt der Name Sinica in Fachkreisen einen guten Klang. Das Konzept der Sinica war es, Beiträge aus dem gesamten Spektrum der Chinakunde auf hohem wissenschaftlichen Niveau, aber in verständlicher und ansprechender Gestaltung einem breiteren Leserkreis zu erschließen. Zu Beginn von konservativen Sinologen noch wegen zu großer Popularisierung kritisiert, kann das Konzept der Sinica immer noch überzeugen: Viele Artikel von damals lesen sich auch in unseren Tagen mit intellektuellem Gewinn und großem Genuß.
Der Kreis des China-Instituts umfaßte bald mehrere hundert Persönlichkeiten aus führenden Kreisen der Weimarer Republik und wurde ein wichtiges Zentrum nicht nur für die wissenschaftliche Beschäftigung mit China sondern auch für die Vertretung der politischen und wirtschaftlichen Interessen Deutschlands in China. Im Laufe der Zeit wurden Ortsgruppen des China-Instituts in mehreren deutschen Großstädten und sogar in China selbst gegründet. In China erhielt das Institut mit dem Deutschland-Institut ein Pendant, das – ähnlich wie heute die Goethe-Institute weltweit – in China für eine Vermittlung deutscher Kultur und Wissenschaft, aber auch für die Förderung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden Ländern eintrat.
Die China-Euphorie, die in den zwanziger und frühen dreißiger Jahren das Bildungsbürgertum der Weimarer Republik erfaßt hatte, wurde durch Richard Wilhelm und die Arbeit des China-Instituts maßgebend mitgeprägt. Er unterhielt freundschaftliche und fruchtbare Kontakte zu C. G. Jung, mit dem er die alte daoistische Schrift „Das Geheimnis der Goldenen Blüte“ der Psychoanalyse erschloß. Die Darmstädter Schule der Weisheit und ihr Gründer Hermann Graf Keyserling sowie der indische Schriftsteller und Nobelpreisträger Rabindranath Tagore gehörten ebenfalls zu den geistig einflußreichen Persönlichkeiten jener Jahre, die in Austausch mit Richard Wilhelm standen.
3. Das China-Institut unter Erwin Rousselle
Nach dem frühen Tod Richard Wilhelms im Jahre 1930 wurde der Hanauer Sinologe und Buddhologe Erwin Rousselle neuer Leiter des China-Instituts. Erwin Rousselle und Richard Wilhelm sind durch einige interessante Parallelen in ihren Persönlichkeiten verbunden. Auch Erwin Rousselle war ein deutlich religiös geprägter Mensch. Aus einer französisch-reformierten Familie stammend, engagierte er sich stark im Leben seiner Gemeinde und schlug in seinen Studien zunächst eine allgemein religionswissenschaftliche Richtung ein, die ihn später zum Buddhismus, dann zu China und dem chinesischen Buddhismus insbesondere hinführte. Auch er galt – wie Richard Wilhelm vor ihm – als ein Quereinsteiger in der Sinologie, der mit Vorbehalten seiner Fachkollegen zu kämpfen hatte, sich aber trotzdem eine anerkannte Stellung innerhalb der Chinakunde erarbeiten konnte. Viele persönliche und wissenschaftliche Kontakte Richard Wilhelms führte Erwin Rousselle fort, zu der Darmstädter Schule der Weisheit ebenso, wie zu C.G. Jung und Tagore.
Das China-Institut erlebte nach der Überwindung der Weltwirtschaftskrise eine richtige Blütezeit. Zahlreiche namhafte Mitglieder traten dem Verein des Instituts bei und förderten seine Arbeit in großzügiger Weise. Die Rolle, die das China-Institut in dem damals sehr intensiven politischen und wirtschaftlichen Austausch zwischen dem Deutschen Reich und der jungen chinesischen Republik spielte, ist bislang noch kaum erforscht, war aber sicher sehr viel bedeutender, als es ein oberflächlicher Blick auf die Aktivitäten der Instituts mit Vorträgen, Ausstellungen etc. vermuten lassen. Im Februar 1936 zog das China-Institut in die repräsentative Villa Grunelius am Untermainkai um. Dort nutzte Erwin Rousselle die großzügigen Räumlichkeiten, um die wertvolle Kunstsammlung des Instituts in einem architektonisch-künstlerischen Gesamtkonzept zur Geltung zu bringen.
Wie schon Richard Wilhelm vor ihm, widmete auch Erwin Rousselle einen Teil seiner Arbeit der Vermittlung zwischen europäischer und chinesischer Kultur. Die Zeitschrift Sinica wurde zu einer international anerkannten sinologischen Fachzeitschrift, in der auch namhafte chinesische Intellektuelle wie der liberale Sprachforscher, Schriftsteller und Kritiker Hu Shi, oder der Rechtsgelehrte und Philosoph Carsun Chang publizierten. Sie hielt aber nach wie vor an dem Anspruch fest, auch für breitere Kreise China-Themen interessant und lesenswert aufzuarbeiten. Die Tätigkeit des Instituts mit Vorträgen zu Politik, Wirtschaft und Gesellschaft auch des gegenwärtigen China, Ausstellungen, Konzerten und Lehrtätigkeit fand ihre Fortsetzung bis zur Bombardierung Frankfurts am 22. März 1944 und der Zerstörung des Instituts-Gebäudes, dem die umfangreiche und wertvolle Bibliothek komplett zum Opfer fiel. Der Großteil der Kunstsammlung des Instituts war glücklicherweise vorher durch Auslagerung in Sicherheit gebracht worden. Nach dem Kriegsende konnte das Institut seine Arbeit wegen Geldmangels nicht wieder aufnehmen und auch der Lehrstuhl für Sinologie blieb nach dem Tod Erwin Rousselles im Jahr 1949 unbesetzt.
4. Das China-Institut unter Chang Tsung-tung
Nachdem 1967 die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt in die alleinige Verantwortung des Landes Hessen übergegangen war, wurde die Professur für Sinologie im Jahre 1973 wieder neu eingerichtet. Neuer Professor wurde der aus Taiwan stammende Wirtschaftswissenschaftler und Sinologe Chang Tsung-tung (1931–2000), der vor allem auf den Gebieten der Paläographie und klassischen chinesischen Philosophie forschte. Unter seiner Leitung wurde auch das China-Institut als eingetragener Verein wiederbegründet und aus Mitgliedsbeiträgen und privaten Spenden finanziert. Ausdrückliches Ziel Chang Tsung-tungs war es, mit dem neubelebten Institut an die kulturvermittelnde Tätigkeit der Zeit Richard Wilhelms und Erwin Rousselles wiederanzuknüpfen. In diesem Sinne begann seine Arbeit mit Vortragsreihen, Ausstellungen chinesischer Kunst und Konzerten mit traditioneller chinesischer Musik. Professor Chang gelang es, eine große Zahl an Mitgliedern für die Arbeit des Instituts zu gewinnen und erfolgreich an das Erbe der Vorgänger anzuknüpfen. Auf einer China-Reise erwarb Professor Chang einige sehr gute Repliken antiker chinesischer Kunst für das China-Institut. Diese Gegenstände sind noch heute in Vitrinen in den Räumen der Sinologie zu sehen. Auch die Bibliothek des Instituts wurde als Teil der sinologischen Institutsbibliothek wieder aufgebaut und fortlaufend ergänzt. Nach der Emeritierung und dem plötzlichen Tod von Prof. Chang schlief die Tätigkeit des Instituts über der inhaltlichen Neuausrichtung und Restrukturierung der Frankfurter Sinologie zunächst aber wieder ein. Andere Aufgaben nahmen die Kapazitäten des Faches voll in Anspruch.
5. Die Reaktivierung des China-Instituts
Auf Initiative der beiden verbliebenen Vorstandsmitglieder, Konsul Karl Heinz Arnold und Prof. Rudolf Sellheim, nahm das China-Institut seine Aktivitäten im Jahre 2005 wieder auf. Ein neuer Vorstand wurde berufen, den Vorsitz übernahm Herr Dr. Georg Ebertshäuser, Sinologe an der Johann Wolfgang-Goethe Universität. Seit 2007 ist Prof. Dr. Iwo Amelung Vorstandsvorsitzender des China-Instituts.
Das China-Institut an der Goethe-Universität Frankfurt am Main wird sich nun wieder seinen Aufgaben der Verständigung zwischen China und Deutschland widmen. Gemäß den in der Satzung des China-Instituts niedergelegten Prinzipien will das Institut durch seine Aktivitäten einen Rahmen bieten, in dem der Austausch zwischen beiden Ländern auf kulturellem, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Gebiet gedeihen und sich entwickeln kann. Hierzu wird das China-Institut mit Vorträgen und Symposien, Ausstellungen und Konzerten sowie Förderung und Austausches des akademischen Nachwuchses beitragen. An diese Aktivitäten anknüpfend, aber weit darüber hinaus gehend, will das China-Institut ein Forum sein, in dem sich Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft zusammenfinden, um neue Perspektiven im Verhältnis zu China zu eröffnen. Das Zusammenwirken von Wissen und Handeln war ein altes Problem der konfuzianischen Philosophie. Das China-Institut will hier eine neue Synthese anstreben.